News Unsichtbarer Lebensretter gegen den plötzlichen Herztod
Datum 09.01.2015
Autor Kliniken Calw
Beschreibung

Calwer Kardiologie implantiert verbundweit erstmals neuartigen Defibrillator

Guiseppe Patri sieht man seine Krankheitsgeschichte auf den ersten Blick nicht an: Mit seinen 33 Jahren steht der junge Mann mitten im Leben und dass, obwohl er dreimal die Woche zur Dialyse muss. Der Calwer leidet seit langem an einer Nierenschwäche und ist auf die regelmäßige Blutwäsche angewiesen. Aufgrund des komplexen Zusammenspiels zwischen Nierenfunktion und dem Herz-Kreislauf-System nahm die Pumpleistung seines Herzens über die Jahre aber zunehmend ab, mittlerweile leidet er daher zusätzlich unter einer starken Herzschwäche. Herzinsuffizienz, so der medizinische Fachbegriff, ist eine ernste Krankheit, an der mittlerweile rund zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden und jährlich an die 400.000 Neuerkrankungen hinzukommen. Die größte Gefahr in Folge der Erkrankung geht dabei meist vom sogenannten Herzkammerflimmern als direkter Vorstufe zum plötzlichen Herztod aus, dem bis zu 150.000 Menschen in Deutschland jedes Jahr zum Opfer fallen, Männer im Übrigen weitaus häufiger als Frauen. Beim Kammerflimmern pumpt das Herz nicht mehr regelmäßig, sondern zuckt nur noch unkoordiniert.

Studien zeigen jedoch, dass sich der plötzliche Herztod bei mehr als der Hälfte der Patienten durchaus ankündigt, mitunter sogar Wochen und Monate vor dem Ereignis, am ehesten durch Brustschmerzen. Doch auch Atemnot, Ohnmacht, Herzklopfen und Schwindel sind Symptome, auf die man reagieren sollte. Werden diese Beschwerden rechtzeitig kardiologisch abgeklärt, unter anderem mittels eines Bluttests, eines Herzultraschalles, einer Langzeitaufzeichnung des Herzrhythmus und einer Belastungsuntersuchung auf dem Fahrrad und findet sich hierbei eine schwerwiegende kardiale Erkrankung, ist es möglich, vorbeugend zu handeln. Behandlungsansätze können Medikamente, Herzoperationen oder auch das Einsetzen eines Herzschrittmachers bzw. Cardiodefibrillators umfassen.

„Solche Defibrillatoren werden normalerweise unter den Brustmuskel auf Höhe des Schlüsselbeins eingesetzt“, erklärt der leitende Oberarzt der Klinik für Kardiologie in Calw, Dr. Thomas Anger. „Mittels Elektroden, die transvenös, sprich über die Venen die zum Herzen führen im Bereich der Herzkammern platziert werden, kann das Gerät durch die Abgabe eines hochenergetischen Elektroschocks das lebensbedrohliche Herzkammerflimmern beenden und somit den plötzlichen Herztod verhindern.“ Das Problem bei Dauerdialysepatienten: Aufgrund des Shunts, des künstlich angelegten Zugangs an ein großvolumiges Gefäß, welcher zwingend für die Dialyse benötigt wird, ist das kardiovaskuläre System bei ihnen ohnehin schon sehr belastet. Zusätzliche Elektroden innerhalb der Venen erschweren das legen neuer Shunts, zudem besteht eine erhöhte Gefahr einer Endokarditis, sprich einer Entzündung der Herzinnenhaut oder auch eines Blutgerinnsels durch das Einbringen der Sonden als Fremdkörper in das Herz-Kreislauf-System.

Das Team der Calwer Kardiologie unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Oberhoff entschied sich daher erstmalig für den Einsatz eines neuartigen Defibrillators der Firma Boston Scientific. Bei dem sogenannten S-ICD (implantierbarer Cardioverter/Defibrillator), dem weltweit ersten und einzigen subkutan implantierbaren Defibrillator, bleiben Herz und Blutgefäße unberührt und intakt. Die Elektrode des subkutanen ICD wird anhand anatomischer Orientierungspunkte lediglich „unter der Haut“, wie der Name schon verrät, im Bereich des Brustkorbs platziert und ermöglicht so eine Therapie ohne Drähte, die sonst bisher im Herzen implantiert werden mussten. Ein weiterer Vorteil speziell bei jüngeren Patienten wie Giuseppe Patri: Das Aggregat wird an der linken Körperseite unterhalb der Achselhöhle kaum spürbar verankert und gibt aktiven Menschen viel mehr Bewegungsfreiheit und somit Lebensqualität in der Freizeitgestaltung.

Die klinikverbundweit erste OP dieser Art unter der Leitung des Calwer Chirurgen Dr. Kai Roy dauerte gerade einmal eine Stunde. Schon am nächsten Tag wurden alle Funktionstests und der richtige Sitz des Systems durch die Kardiologen, Chirurgen und den Hersteller positiv beschieden und Giuseppe Patri konnte zwei Tage später die Klinik bereits verlassen. Rund sieben Jahre wird das S-ICD jetzt seinen Dienst verrichten bis die Batterie ausgetauscht werden muss. „Das System ist kein Herzschrittmacher im eigentlichen Sinne, sondern eine Art Lebensversicherung, die die Herzaktivität überwacht und einspringt, sobald Herzkammerflimmern erkannt wird und somit der Herztod unmittelbar bevor steht. Ein bisschen wie das Prinzip Airbag im Auto, den man zwar hofft, nie zu brauchen, der einem aber ein beruhigendes Sicherheitsgefühl gibt und im Falle eines Unfalls das Leben retten kann“, verdeutlicht Dr. Anger das Prinzip. Das einzige, was für Giuseppe Patri außer drei kleinen Narben von der OP in wenigen Wochen noch sichtbar bleiben wird, ist die kleine Ausweiskarte im Geldbeutel, mit der medizinische Fachkräfte und Rettungsdienste auf den implantierten Defibrillator aufmerksam gemacht werden – und natürlich das gute Gefühl, einen lebensrettenden Schutzengel dauerhaft bei sich zu tragen.

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